. . . es war einmal ein Schattenhund, so fangen Märchen an und für Butch ist mehr als ein Märchen in Erfüllung gegangen. Denn Butch ist einer dieser echten Schattenhunde, von denen nie jemand erfährt, weil sie irgendwann einfach getötet werden, weil sie als unvermittelbar und absolut gefährlich gelten. Oder sie haben das unglaubliche Glück, Menschen zu finden, die mit einem solchen Hund klar kommen. Man muss es mögen und darf keine Angst haben. Ein solcher Hund richtig geführt und gesichert wird nicht auffallen, und solche Hunde gibt es einige bei uns in der Gesellschaft. Da sind wir uns ganz sicher. Doch für ein Schattenhund sind solche Menschen mehr als rar, es ist wie ein 6er im Lotto in der Jahreslotterie.
Aber nun von ganz vorne.
Seine nachvollziehbare Geschichte begann mit 5 Monaten, als er zum
Verkauf angeboten wurde wegen Umzug. Eine alleinstehende Dame fand
Gefallen an dem Hund und nahm ihn auf. Eine direkt dazu geholte
Trainerin schätzte den jungen Hund als supernett ein, denn er zeigte
weder gegen die Katzen noch gegen den vorhandenen Dackel oder gegen
Menschen Aggression. Training sei nicht notwendig. Er war anfangs auch
sehr willig, leinenführig, unauffällig. Er schlief am liebsten eng ans
Frauchen gekuschelt im Bett. Mit Besuchern war er zuckersüß, daher war
es unverständlich, als er anfing im Beisein von Besuchern seine
Besitzerin zu knappen. Solche Attacken kamen immer öfter, immer gegen
die eigene Besitzerin. Er verteidigte irgendwann auch das Bett, so dass
sie gezwungenermaßen auf dem Sofa schlief. Setzt man einem solchen
Verhalten nichts dagegen wird es nicht besser, so auch in diesem Fall.
Es kam zum Eklat und er biss richtig zu. Die Besitzerin selbst rief die
Polizei und kam ins Krankenhaus, der Hund ins Tierheim. Da dieses
Tierheim aber mit ihm überfordert war, übernahm ein anderes.
Zu dem
Zeitpunkt war der Hund 15 Monate alt. Er zeigte sich fröhlich und
freundlich und mit Artgenossen verträglich, so dass sich schnell jemand
fand, der es mit ihm aufnehmen wollte. Sie wurden unterrichtet, dass er
seine Besitzerin schwer verletzt hatte und es wurde im Vertrag notiert.
Zuhause angekommen fing er bald wieder an, Dinge zu verteidigen und zu drohen. Nach 2 Tagen völliger Überforderung kam der Hund zurück ins Tierheim. Mit dem Hintergrund wurde mit Butch gearbeitet an all den Themen, die er dort oder später auch im Tierheim gezeigt hatte. Auch bekam er die Möglichkeit, zeitweise in einer Pflegestelle zu wohnen, wo er sehr schnell auch drohte. Man stellte fest, dass es hauptsächlich abends anfängt und er seinen Liegeplatz verteidigt. Nach 6 Monaten kam ein dem Tierheim bekannter Mann mit Molossererfahrung, der keine Angst vor ihm hatte. Butch zog wieder um. Auch hier wurde der neue Besitzer ausführlich über alle Haken und Kanten des Hundes wie auch über die bekannten Verletzungen unterrichtet.
Zunächst lief alles wunderbar. Bis auf die nächtlichen Toilettengänge des Besitzers. Er mußte am Hund vorbei und es wurde zusehends gefährlicher. Dann verletzte sich der Besitzer bei einem Sturz und konnte kaum mehr gehen. Kein Mensch konnte den Hund führen und die Situation spitzte sich zu. Als der Besitzer eines Nachts wieder an seinem Hund vorbei humpelte geschah das Vorhersehbare und Butch musste nach nur 4 Monaten wieder ins Tierheim. Er galt als unberechenbar und gefährlich. Mittlerweile war der Hund auch meist schlecht gelaunt und wenige Menschen konnten in händeln.
Es dauerte ein halbes Jahr, der Beschluss stand fest, dass der Hund unvermittelbar sei, als ein weiterer Mensch zielstrebig nach einem großen Molosser fragte. Zu dem Zeitpunkt gab es keine Auswahl sondern nur Butch. Das Tierheim zeigte ihn höflich mit dem Hinweis, dass dieser Hund nicht zur Vermittlung steht. Der Mann ging an den Zaun und sprach ihn an und Butch war schier aus dem Häuschen. Es war Liebe auf den ersten Blick auf beiden Seiten. Die Mitarbeiter zeigten, was er alles an Aggressionsverhalten aufbieten konnte, erzählten von allen Vorfällen, doch der Mensch umarmte den Hund und lächelte. Bei weiteren Besuchen konnte man sich mehr und mehr davon überzeugen, dass dieser Platz die einzigartige Chance war, Butch doch noch einmal zu vermitteln. Auch die Lebensgefährtin stimmte dieser Liebe zu. Und so geschah es.
Die Absprache war, dass der Hund nachts angebunden sein wird und tagsüber auch zuhause einen Maulkorb trägt. Butch war aber anfangs so nett, dass man bald die geforderten Sicherungsmaßnahmen vergaß. Nach 2 Monaten umarmte sich das Paar und Butch sprang quer durchs Zimmer und versuchte, die Frau zu beißen. Beim Handgemenge wurde der Besitzer verletzt und der Entschluss wurde gefasst, dass sein Verhalten doch zu heftig sei, der Hund kam wieder ins Tierheim. Butch konnte die Welt nicht verstehen und trauerte fürchterlich. Als die beiden sich gefasst hatten, kamen sie erneut ins Tierheim, eigentlich um die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Es war ein Freudenfest, als Butch sie sah und letztendlich wurde lange und ausführlich noch einmal sein Verhalten durchdiskutiert, mehrere Tierheim-Mitarbeiter involviert und ein letzter Versuch gestartet.
Es wurde ein Schwerlastdübel in den Boden eingelassen, an dem eine dicke Kette befestigt ist. Abends geht Butch auf sein Sofa, durch das von unten die Kette gezogen wurde und er wird gesichert. Tagsüber trägt er Maulkorb. Mittlerweile hat sich die Situation entspannt, und obwohl der Hund immer weniger Aggressionsverhalten zeigt, wird er weiterhin abgesichert. Geholfen hat sicher auch eine Augen-OP, Butch hatte beidseits ein Entropium, was ihm sicher Probleme bereitete. Draußen bei Spaziergängen ist er unauffällig lieb und freundlich. Der Besitzer weiss ihn aber auch richtig einzuschätzen und kennt alle Situationen, die den Hund antriggern, bestimmte Bewegungen, bestimmte Personen, Knurren eines Hundes z. B. und er zeigt immer noch lichtzyklusbedingte Aggression, die aber sehr berechenbar ist. Bei Futter gibt es feste Rituale, die beide Seiten einhalten. Mit seinen Besitzern ist Butch mittlerweile sehr tolerant geworden, mit vielen anderen Menschen auch. Doch auch hier gilt egal wie: safety first.
Gestern nach über 6 Monaten war er wieder zu Besuch im Tierheim und es wurde ein kleiner Film gedreht, den man weiter unten sieht, eingebettet in Bilder von seinem neuen Zuhause. Er kann es immer noch, doch zeigt er das Verhalten in dieser Form wohl nur noch im Tierheim. Man kann Aggressionsverhalten nicht einfach wegtrainieren. Die Vorstellung, Hunde zu „resozialisieren“ und alles ist gut, ist falsch. Es gibt Hunde, denen man einen neuen Weg aufzeigt, den sie dankbar annehmen. Hunde die aufgrund von falschen Erfahrungen falsches Verhalten zeigen. Und es gibt die, die man lebenslang managen muss. Diese Hunde wie Butch gibt es viele da draußen unter uns, sie brauchen aber ganz spezielle Menschen. Wenn sie ins Tierheim kommen, hatten sie diese Menschen nicht gefunden und bleiben in den allermeisten Fällen auch lebenslang Schattenhunde.