… oder aber auch die Besitzer kommen immer mehr mit sogenannten „Angsthunden“ in Kontakt. Angst macht Angst, Fehler zu machen, man macht lieber nichts und lässt die Hunde in diesen Emotionen stecken. Wie im Aggressionsbereich gibt es auch hier „Spezialisten“, die Geld damit verdienen und sich solcher Hunde annehmen. Es ist mittlerweile ein Markt. Folgende Geschichte wurde uns zugeschickt:
Nikita kenne ich aus Rumänien, Sie kam schon als Welpe mit ihren Geschwistern in das Shelter. Sie zeigte sich dort etwas unsicher uns gegenüber. Bei Menschen, die sie kannte, war eine Annäherung kein Problem. Nikita verhielt sich so wie viele Hunde, die ich in Rumänien kennen lernte, schüchtern, misstrauisch, beobachtend, klug. Kein wirklicher Angsthund, aber genau so, wie man sie mittlerweile aus den östlichen Ländern kennt.
Am 3. Nov. 18 kommt Nikita nach Deutschland, sie ist zu dem Zeitpunkt ca. 10 Monate alt. Die Pflegestelle kommt nicht an sie ran, da sie nicht freiwillig zu den Menschen geht. Der Verein sucht sich Hilfe bei einer ‚Angsthundetrainerin‘, die sie Ende November übernimmt.
Ihre Einschätzung war, dass „Nikita Berührungen nur akzeptiert, wenn sie nicht flüchten kann, sie weicht bei Möglichkeit aus. Man muss die Arbeit langsam angehen lassen, weil sie sehr panisch werden kann, wenn man sie am Flüchten hindert. Sind wir im Haus, ist sie mit dabei aber immer auf der Hut. Ist sie im Freilauf und ich komme raus verbellt sie mich. Aber bis auf Trockenfutter verschmäht sie nichts, nur das was sie nicht kennt. Und das ist immer ein Weg, um mit ihr in Kontakt zu gehen. Mittlerweile macht sie auch keine Anstalten mehr, wenn sie wieder ins Haus soll. Es muss allerdings immer ein Hund bei ihr sein, der sie mit rein zieht. Ist sie alleine zurückgeblieben, traut sie sich nicht und rast laut bellend durch den Auslauf oder sitzt einfach da. Es wird eigentlich nicht besser.“
6 Monate später, 13. April 2019 ein Vermittlungstext der Trainerin: „Nikita ist eine junge Hündin, die in ihren ersten 2 Jahren ausser der Unterkunft bei rumänischen Tierschützern, wo sie mit ihren Geschwistern aufgewachsen ist, nichts erlebt hat. Das ist der Grund, weshalb sie sich unter Hunden wohl fühlt, unter Menschen unsicher ist und ihr das Verlassen vertrauter Umgebung an der Leine Angst macht. Nicht mehr wie am Anfang aber entspannt an Leine, schnuppernd, das kann sie noch nicht. Sie hat immer den Menschen und die Leine im Blick. Anleinen lässt sie sich, manchmal gleich, manchmal muss sie erst ein paar aufgeregte Runden drehen. Aufgeregte Runden, laut bellend und knurrend, dreht sie auch dann, wenn sie im Freilauf ist und Mensch dazu kommt oder auch fremder Hund. Sie umkreist aber attackiert nicht. Auch alles was sich außerhalb des Zaunes bewegt wird verbellt. Nikita ist im Freilauf/Garten wachsam und meldet. Im Haus dagegen absolut ruhig. Sie ist neugierig und Leckerlies sind immer willkommen. Drin wie draußen, nur nicht an Leine. Berührungen geht sie bei Fremden aus dem Weg, nimmt aber gerne Futter. Berührungen hier in der Therapie kann sie mittlerweile genießen, sie braucht Vertrauen. Sie gehört nicht zu den Angsthunden, die erstarren und alles über sich ergehen lassen. Je mehr Aufregung desto mehr Bewegung braucht sie. Nikita ist eine grundsätzlich freundliche Hündin mit einer guten Portion eigenem Willen. Genauso bei Hunden. Futter sollte nicht zur freien Verfügung sein. Verspielt aber mitunter sehr überschwänglich, sodass sie von Spielpartnern oft nur mit einem klaren Nein zu stoppen ist. Es wird kurz laut auf beiden Seiten und dann ist Schluss. Im Haus spielt sie (noch) nicht. Da Nikita auf unbestimmte Zeit nicht von der Leine darf, sich an Leine bisher auch nicht auslastet, aber eigentlich ein sehr agiler, wendiger und schneller Hund ist, wäre ein Zuhause wichtig mit einem Zweithund, dem sie vertraut, der sie nicht bedrängt oder dominiert. Rüde wäre von Vorteil, weil sie bei Hündinnen mitunter nachtragend sein kann, fletscht, kurze Attacken startet und dann auf unbestimmte Zeit in die Vermeidung geht. Sie muss sich körperlich auslasten können, weil Unsicherheit und Angst Stress erzeugen und Stress braucht Bewegung, um abgebaut werden zu können. Ein aktiver, nicht dominanter Rüde, Größe nach oben offen. Kleine oder sehr kleine Hunde eher nicht. Es sei denn sie sind selbstbewusst und lassen sich nicht mit Beute verwechseln. Nikita zieht um mit Zugstopphalsband, Sicherheitsgeschirr und Schleppleine. Sie braucht einfühlsame Menschen, die aber auch Regeln und Struktur in ihren Alltag bringen. Menschen, die verstehen, dass sie Zeit braucht um anzukommen und um nicht mehr weglaufen zu wollen. Menschen, die auf sie aufpassen, bis sie wirklich angekommen ist und bleiben will. Nikita hat das Potential zu einer fröhlichen, gelehrigen Hündin, mit der man viel Spaß haben und irgendwann auch richtig kuscheln kann. Aufgrund der anfangs bestehenden Fluchtgefahr sollten im neuen Zuhause wenn überhaupt nur 1-2 ältere Kinder sein, die schon verstehen worum es geht. Spaziergänge ausschließlich mit Erwachsenen. Wohnumgebung ruhig, Ortsrandlage“.
Der Verein war irgendwann nicht mehr in der Lage, die Therapiekosten
für den Hund weiter zu tragen und suchte nach einer anderen Lösung, da
sich keine nennenswerte Entwicklung abzeichnete und eine Vermittlung,
laut Trainerin, noch ausgeschlossen sei. So kam der Hund zu einem
kleinen Verein in Tirol, der sich auch vor Ort in Rumänien engagiert.
Mit dem Hund mitgegeben wurde eine Gebrauchsanweisung.
„Im Haus total ruhig, draußen rast sie laut bellen am Zaun entlang und
jagt alles was vorbeifährt oder verbellt den Nachbarn im Garten, das
würde sie stundenlang machen, wenn man sie nicht stoppt mit einem klaren
Nikita NEIN. Was aber nicht heißt, dass sie es sich nicht doch nochmal
überlegt. Im großen Auslauf lässt sie sich anfassen aber nicht anleinen.
Im kleinen Auslauf mittlerweile setzt sie sich und lässt ich anbinden.
Ins Haus kommt sie nicht von alleine. Für Dosenfutter o.ä. sofort für
alles andere vielleicht. Rohes Fleisch mag sie nicht. Von nur
Dosenfutter bekommt sie Durchfall. Ich weiche Trockenfutter ein und
mache Dose dran. In neuer Umgebung vermute ich, dass sie auch für das
beste Futter nicht reinkommen wird. Vorsicht bei Futter….sie kann sich
heftig prügeln für Futter was am Boden liegt, aus der Hand kein
Problem. Mit Welpen muss man etwas aufpassen, da hat sie keine hohe
Reizschwelle. Sie zieht die Lefzen, sieht nur meist keiner, und startet
dann pfeilschnell durch, attackiert entweder über Lautstärke oder zwickt
auch. Sie hatte kein Sozialverhalten als sie kam. …………….Aber aus der
Haustür raus, durch einen 3m Flur geht sie vor mir aber rückwärts, immer
den im Auge, der die Leine hat. Irgendwas muss sie erlebt haben mit
Leine und wenn es für den Transport war. Auffällig war, dass sie nachts
extrem durchgedreht ist, tagsüber ging es besser. Sie läuft nun toll mit
draußen aber bewegt sich nicht frei, die Leine ist ihr unheimlich.
Lässt sich aber gut und gerne anbinden. Im Haus kommt sie zwischendrin
immer mal, wenn ich irgendwo sitze und will gestreichelt werden. das mag
sie. Auffallend war, dass sie beim 1. Mal kleiner Auslauf, ca. 50 qm,
völlig panisch wurde, den Zaun in die Zähne nahm und durch zu beißen
versuchte, entlang raste und abgemessen hat, ob sie drüber kommt, und
als das alles nicht klappte, hat sie sich in die hinterste Ecke gekauert
und sich versteckt. Da war wohl die Haltung in Rumänien Thema
plötzlich. Nach ein paar Tagen bewegte sie sich und mittlerweile spielt
sie und saust rum.
Das mal bis hierhin. Wenn noch Fragen sind,
einfach fragen. Ach so, Geschirr findet sie doof, lässt es sich ohne
Probleme mittlerweile anziehen, geht damit auch los und wenn Zug
draufkommt, kann es passieren, dass sie Krokodilrollen dreht. Aber sie
fängt sich dann auch wieder. Liebe Grüße„
Am 1. 8. , also nach 9 Monaten in Deutschland, zieht Nikita nach Tirol. Die Pflegestelle berichtete: „Am 4.8. spielt Nikita entspannt bei mir Garten, geht mit spazieren, kommt mit in die Hundeschule, muss mit im Auto fahren und sich hier an meine Regeln halten. Das Halsband musste ich runterschneiden, es war so eng. Das Panikgeschirr hat am Bauch derart eingeschnitten, dass sie nicht richtig laufen konnte. Ich habe alles runter gemacht, ein Zugstopp-Halsband und ein neues Panikgeschirr drauf gemacht.
Ab 20.8. war Nikita beim Wandern in den Bergen im Freilauf.
Ich mute Hunden immer sehr viel zu, biete ihnen Zuwendung, Zeit und
Zärtlichkeit. Zur Verfügung stelle ich ihnen Sicherheit, Stabilität und
Grenzen. Spricht man Hunden nicht alles ab, lässt man sie auch mal Hund
sein, werden sie nicht nur gefördert sondern auch gefordert, macht das
was mit Hunden. Nimmt man Hunde an die Hand, meistert Situationen, die
dem Hund nicht geheuer sind, wird Stress empfunden. Es ist nachgewiesen,
dass Menschen und auch Hunde nach der Bewältigung von Stresssituationen
gestärkt heraus kommen.
Erfahrungen, an denen wir gewachsen sind, Leistungen, die uns mit Stolz erfüllten dies benötigt eine erhöhte Form der Beanspruchung an unseren Organismus. Wir wachsen an Herausforderungen, auch wenn es dazu Mut bedarf. Jede gemachte Erfahrung besonders mit einem Sozialpartner stärkt das Vertrauen in die Beziehung und auch in die eigene Kompetenz. Man könnte sich fragen, ob Stress am Ende vielleicht sogar glücklich macht?
Nach 4 Wochen in der
Pflegestelle ist Nikita am 4.9. ist in ihr neues zu Hause gezogen. Auf
einen Reiterhof in eine große Familie mit Kindern, groß und klein,
vielen Menschen, Lamas und Alpakas. Es hat etwas gebraucht, aber sie
läuft nun dort ohne Leine am Rad. Weil sie als Hund behandelt wird und
nicht als Individuum das man vor dem Leben fernhält.“
Wir wollen
auch hier nicht über Methodik diskutieren, es gibt viele Wege, Zeitdruck
macht es bei diesen Hunden nicht besser. ABER man muss die Hunde ganz
genau anschauen, denn Angsthund ist nicht Angsthund! Nikita war eben
kein wirklicher Angsthund, man musste ihr das Leben zeigen, das sie noch
nicht kennt.
Man muss genauestens unterscheiden ob ängstlich, misstrauisch, unsicher oder depriviert z. B., was die aller wenigsten Hunde sind, bei denen das diagnostiziert wird! Weil der Ansatz bei jeder dieser Eigenschaften ein anderer sein muss. Doch auch hier ist zu sagen, wo und wie kann ich das lernen!? Hundepfleger können das oft nicht unterscheiden, und wenn ja, werden sie ausgebremst von den Tierschützern, die sich schützend über den Hund legen und jede Form der Manipulation am Hund verbieten, denn er hat ja so eine Angst …….